Freitag, 14. Oktober 2016

Arena vom 14. Oktober 2016 zum Thema Globalisierung

Dieses Dossier zur Arena vom 14. Oktober 2016 zum Thema Globalisierung soll die Thematik vertiefen und ergänzende Informationen liefern. Da ich natürlich jetzt noch nicht weiss, welche Punkte in der Sendung angesprochern werden, habe ich erstmal ein paar allgemeine Bemerkungen zum Thema, sowie zur Ökonomie der Angebotspolitik (die ideologische Grundlage der Globalisierung) gemacht. Ich werde dann versuchen, während der Sendung auf tatsächlich angesprochene Punkte einzugehen. Letztes Update: 14.10.2016 um 18:43

Was ist Globalisierung?

Globalisierung ist nicht Welthandel. Das ist leicht ersichtlich, wenn man bedenkt, dass es den Welthandel schon immer gegeben hatte und nicht erst seit den frühen 1990er Jahren, als der Begriff "Globalisierung" das erste Mal auftauchte. BMWs kamen schon immer aus Deutschland, Fiats aus Italien, Fords aus den USA, Renaults aus Frankreich und Toyotas aus Japan. Das Neue ist also nicht der Handel an sich, sondern die Bedingungen, unter denen dieser Handel stattfindet.

Zum Verständnis des Kerns der Globalisierung, möchte ich zu einer Analogie greifen, die jeder kennt: die eigene Wohnung.

Globalisierung - Ein Drama in 3 Akten

1. Akt: Vor der Globalisierung

Ein Land ist wie eine Wohnung. In Ihrer Wohnung bestimmen Sie als Mieter (oder Eigentümer), wer sich aus Ihrem Kühlschrank bedienen und/oder in Ihrer Wohnung rauchen darf.

Das war die Situation in der Schweiz vor dem Umbau der Wirtschaft nach den Grundsätzen der "Trickle-Down" Angebotspolitik. Wir (das Volk) bestimmten über die Regeln der Wirtschaft.

2. Akt: Globalisierung erster Stufe

Liberale finden, dass Sie in Ihrer Wohnung, für die Sie Miete bezahlen, keine Sonderrechte haben sollten. Wenn Sie sich aus Ihrem Kühlschrank bedienen, soll dieses Recht auch all Ihren Besuchern (Handwerker, Gäste, ...) zustehen.

Dies ist die aktuelle Situation in der Schweiz: Grossaufträge der öffentlichen Hand müssen international ausgeschrieben werden. Es ist nicht erlaubt, Schweizer Firmen "ein bisschen" zu bevorzugen, weil sie Inländer beschäftigen und in der Schweiz Steuern zahlen. Es gibt also keinen "Inländervorrang" beim Zugang zum Schweizer "Kühlschrank", d.h. bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand.

3. Akt: Globalisierung und TTIP

Besucher dürfen in Ihrer Wohnung rauchen, sogar wenn Sie selber nicht rauchen, und wenn Sie oder Ihre Kinder den Rauch nicht vertragen, müssen Sie und Ihre Kinder auf den Balkon ausweichen.

TTIP geht noch einen Schritt weiter: wenn Sie vom Balkon wieder hereinkommen und Ihr Kind einen Asthma-Anfall wegen des Rauchs im Zimmer bekommt, und Sie deshalb dem Raucher künftig das Rauchen in Ihrer Wohnung, für die Sie Miete bezahlen, verbieten müssen, kann Sie der Raucher vor einem "unabhängigen" Schiedsgericht auf Schadenersatz und entgangenen Gewinn verklagen.

Fallstudie: Running on MMT by George Monbiot

Das klassische Rechtsprinzip, das vor der Globalisierung gegolten hatte, ist so einfach, dass sogar Kinder es verstehen:

Wenn Du bei uns verkaufen oder investieren willst, halte Dich an unser Recht und unsere Normen! Wenn Du unserem Rechtsystem nicht vertraust, investiere woanders!

Liberale postulieren aber ein Recht des Ausländers, in der Schweiz investieren zu können, egal ob wir diese Investition brauchen oder nicht. Wir müssen dem Investor daher Zugang verschaffen, und wenn er unserem Rechtssystem nicht vertraut, müssen wir uns anpassen, z.B. indem wir Sondergerichte und ein einklagbares Recht auf Gewinn schaffen.

Globalisierung schafft also eine komplette Umkehr der Rechtssituation. Das Recht des Anbieters, in der Schweiz zu verkaufen, bzw des Investors, in der Schweiz zu investieren, geht über das Recht des Schweizers, zu bestimmen, was und unter welchen Bedingungen hier verkauft bzw. investiert werden kann. Dies ist der Kern der Globalisierung.

Es gibt keine wissenschaftliche Basis für die Globalisierung

Globalisierung basiert auf ökonomischen Thesen, die unter verschiedenen "Markennamen" bekannt sind: Neo-Liberalismus, Trickle-Down, Reagonomics, Thatcherism, Marktliberalismus, usw. Der unter Ökonomen verwendete Begriff heisst supply-side economics oder Angebotspolitik.

Die Grundidee der Angebotspolitik basiert auf der Annahme, dass (a) von Regulierungen befreite Märkte im Einklang mit (b) Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen sowie (c) Privatisierungen von Staatsunternehmen, zu vermehrtem Wachstum führen werden, die dann allen -- auch dem Mittelstand und der Arbeiterschaft -- zugute kommen und so von "oben" zu ihnen "herunterrieseln" (daher: trickle-down).

Angebotspolitik steht also dafür, dass die Angebotsseite (Unternehmen und reiche Investoren) bevorzugt werden sollen, während die Nachfrageseite (etwa der Mittelstand, der den ganzen produzierten Kram letzlich kaufen soll) irrelevant ist.

Erstaunlich ist nun, dass es für diese Annahme offenbar niemals eine wissenschaftliche Basis gab. Die Voraussagen der Angebotspolitik -- und damit in der Konsequenz auch der Globalisierung -- lassen sich weder in der Theorie noch der Realität nachweisen. Das einzige, was die Globalisierung bisher bewirkt hat, sind Finanzkrisen und die obersten Einkommensschichten reicher zu machen. Der Mittelstand stagniert oder verliert. Nur die untersten Einkommensschichten haben ebenfalls profitiert. Es braucht allerdings auch nicht viel, um jemandem mit einem Einkommen von $1 eine Einkommens-Verdoppelung zu verschaffen: ein zweiter Dollar reicht dazu. Für diese durchaus positive Entwicklung haben aber nicht die Reichen, sondern der Mittelstand bezahlt.

Globalisierung ist die Ursache von Finanzkrisen

Die Asienkrise von 1997/98 wurde durch die Globalisierung verursacht (nicht befördert oder ermöglicht, sondern verursacht). Die USA erzwangen den Zugang zu den boomenden Finanzmärkten in Südost-Asien und verursachten damit die Flutung der Wirtschaften mit billigen Krediten. Aus Sicht der Länder der Region wäre die Öffnung vollkommen unnötig gewesen, da die Sparquote dort so hoch war, dass die Kreditnachfrage vollständig aus eigenen Mitteln hätte befriedigt werden können. Nach der erzwungenen Öffnung stellte sich die mittlerweile bekannte Kaskade von Kreditblase, Immobilienblase, Platzen der Blase und in der Folge eine Kreditkrise ein, weil das bestehende Kapital in überflüssigen halbfertigen Immobilien festsass, während neues ausländisches Kapital in der Krise natürlich nicht mehr zur Verfügung stand. Die IMF lieferte die fehlenden Kredite und forderte im Gegenzug das übliche Menu von Privatisierungen, Marktöffnungen und Sozialabbau. Quelle: J. Stiglitz, Globalization and Its Discontents

Das Tragische am Glauben an den unfehlbaren Freien Markt ist nicht so sehr, dass globalisierte Märkte offenbar prinzipiell unfähig sind, verlässlich jene Leistungen zu bringen, die Liberale und Ökonomen ihnen andichten, sondern dass globalisierte Märkte denselben Fehler in der Form von Immobilienblasen gewissenhaft immer und immer und immer wieder begehen.

Welthandel: JA! - Freihandel: NEIN!

Die folgende Grafik zeigt überzeugend, weshalb wir regulierte statt freie Märkte brauchen. Sie zeigt die jährlichen Wachstumsraten in der Schweiz in % zwischen 1946 und 2010 (gelb) und davon ein doppelter Gleitender Durchschnitt (hellblau). Es ist offensichtlich: die regulierte Soziale Marktwirtschaft (rot) lieferte zuverlässig höhere Wachstumsraten im Vergleich zur deregulierten Liberalen Marktwirtschaft (blau). Der Absturz in 1975 war die Folge des Ölschocks, einer politischen Krise.

Wachstum unter Sozialer (rot) und Liberaler Marktwirtschaft (Klick für Grösser)
Wer ausser einem Liberalen möchte ein geringeres Wachstum, mehr Krisen, mehr Ungleichheit und einen stagnierenden Mittelstand?
Wir brauchen nicht freie sondern regulierte Märkte.
Wir brauchen nicht Freihandel sondern regulierten Welthandel.
Wir brauchen mehr Regionalisierung, aber sicher nicht noch mehr Globalisierung.